Das Projekt „Anders Wohnen“ verbindet auf einzigartige Weise die Krefelder Bauhaus-Villen Lange und Esters als Wohnobjekte mit zeitgenössischer Kunst und dem Bauhaus-Jubiläum. Wie, das verrät die Direktorin der Kunstmuseen Krefeld Katia Baudin im Interview.
Das Projekt „Anders Wohnen“ ist Ihr Beitrag zum Bauhaus-Jubiläum, worum geht es dabei?
„Anders Wohnen“ richtet den Blick auf das gemeinschaftliche Leben von morgen. Bis Januar 2020 ergänzen sich nach einem präzisen Spielplan unterschiedliche Akte zu einer großen Inszenierung. Diese Art der Präsentation ist für uns ein Experiment, da es keine Ausstellung im klassischen Sinne ist, sondern vielmehr eine Choreografie, die sich in verschiedenen Akten aufbaut. Für die drei Akte wurden 16 internationale Künstler*innen, Designer*innen und Architekt*innen eingeladen, ortsspezifische Kunst zu entwickeln. Der erste Akt ist der Utopie gewidmet und findet in Haus Lange statt. Der zweite Akt befasst sich mit dem Thema Mobilität und ist deshalb im Außenraum rund um Haus Esters und Haus Lange lokalisiert und der dritte Akt mit dem Leitmotiv Dystopie spielt sich in Haus Esters ab. Zeitgleich verwandeln sich die Villen in ein lebendiges Dialogforum für aktive Teilnahme und Inspiration auf vielen Ebenen.
Wie ist „Anders Wohnen“ entstanden?
Die von Mies van der Rohe entworfenen Villen Haus Esters und Haus Lange sind Ikonen für das Neue Bauen in Deutschland und spielen hier in Krefeld eine wichtige Rolle. Natürlich gibt es in Deutschland viele historische Ausstellungen in diesem Jahr, aber durch die Häuser haben wir eine unnachahmliche Verbindung zum Bauhaus. Obwohl die Villen seit 1955 beziehungsweise 1981 als Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst verwendet werden, sind sie auch ehemalige Wohnhäuser. Diesen einzigartigen Charakter wollten wir berücksichtigen. Das Ziel war, Künstler*innen zu finden, die eine ganz neue Sicht auf die beiden Häuser in Zusammenhang mit drängenden gesellschaftspolitischen Fragen werfen. Wie wollen wir wohnen, wie können und müssen wir wohnen, heute und in der Zukunft? Welche Möglichkeiten, Hoffnungen und Ängste verbinden sich mit der globalisierten, mobilen, digitalen Gesellschaft? Das war der Ausgangspunkt für das Projekt „Anders Wohnen“. Als einmaliges Ensemble des modernen Bauens geben die Villen dabei den Anstoß für interdisziplinäres Denken und praktisches Gestalten – Ansätze, wie sie das Bauhaus schon in den 20ern als gesellschaftliche Vision formuliert hat.
War es Ihnen wichtig, verschiedene Disziplinen miteinzubeziehen?
Ja, unbedingt. Wir wollten nicht nur Künstler*innen, sondern auch Designer*innen und Architekt*innen miteinbeziehen, denn das interdisziplinäre Arbeiten war ein Grundpfeiler des Bauhaus. Die Grenzen und die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen am Bauhaus waren fließend. Deshalb haben wir Künstler*innen eingeladen, die auch in ihrer Praxis täglich Grenzüberschreitungen vollziehen.
Gibt es schon ein erstes Fazit nach der Eröffnung im März?
Das Projekt wird sehr gut angenommen und interessiert ein breites, überregionales Publikum. Zudem sind die frisch restaurierten Häuser ein wahrer Besuchermagnet: Seit März haben mehr als 20.000 Menschen (Stand: 30.06.19) Haus Lange und Haus Esters besucht. Das liegt auch am Format der Ausstellung, denn dank ihrer Progressivität werden Besucher ermutigt, immer wieder vorbeizuschauen und zu sehen, wie sich das Projekt organisch entwickelt. So sind die Häuser und Gärten für viele unserer Besucher zu einer Art zweitem Zuhause geworden.
Worauf können sich Besucher in den kommenden Monaten freuen?
Auf das Zusammenwirken aller drei Akte. Momentan sind die beiden ersten Akte „Utopie“ und „Mobilität“ zu sehen, mit faszinierenden, kontrastreichen und unerwarteten Werken. Besonders spannend ist, dass die Gärten zum ersten Mal seit Langem als erweitertes Ausstellungsformat genutzt werden. Denn auch sie wurden von Mies van der Rohe angelegt und spielten eine zentrale Rolle in seinem Konzept. Neben den Villen gibt es ein kleines Gartenhäuschen, das von der Familie Esters bewohnt wurde, bevor das Haupthaus fertig war. Hier hat die amerikanische Künstlerin Andrea Zittel eine raumgreifende nutzbare Installation in Form eines Cafés gestaltet, das am Wochenende sogar betrieben wird. So können Besucher die wunderschöne Wohnkulisse für sich nutzen und länger verweilen. Das fördert auch die Dialogkultur, die wir mit vielen verschiedenen Formaten hier anstreben. Besucher*innen sollen aktiv mitdiskutieren können, denn schließlich betreffen Fragen des Wohnens und Lebens wirklich jeden.
Ab Mitte September wird dann der dritte Akt eröffnet, und im Januar 2020 endet „Anders Wohnen“ mit einem großen Fest, bevor es in den Stadtraum übergeht. Wir begeben uns also als Weiterentwicklung in die Stadt von heute und bewegen uns so von der Utopie in die Realität.
Mehr über die Ikonen der Moderne, Haus Esters und Haus Lange, erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews mit Katia Baudin, der bald hier veröffentlicht wird.
Einen Überblick über alle bisher verfügbaren Stories erhalten Sie unter www.interface.com/100stories.