Die von Mies van der Rohe entworfenen Bauten Haus Lange und Haus Esters in Krefeld werden gern als Ikonen der Moderne bezeichnet. Völlig zu Recht, sagt die Direktorin der Krefelder Kunstmuseen Katia Baudin. Die beiden Häuser werden als Ausstellungshallen für zeitgenössische Kunst durch die Kunstmuseen Krefeld genutzt. Im Interview beleuchtet Katia Baudin die einzigartigen Charakteristiken der Villen und welche Bedeutung ihnen heute zukommt.
Haus Lange und Haus Esters wurden vom Stararchitekt Mies van der Rohe für die Seidenproduzenten Dr. Josef Esters und Hermann Lange in den 20er Jahren entworfen. Nach welchen Prinzipien wurden sie gebaut?
Die Bauhaus-Architekten und -Designer Walter Gropius, Mies van der Rohe, Marcel Breuer und Marianne Brandt gestalteten Gebäude und Objekte entsprechend ihrer Funktion, also mit einfachen, aber doch eleganten Formen. Vor diesem Hintergrund entstand auch das Bauhaus-Grundprinzip: Die Form folgt der Funktion. Die Zimmer wurden kleiner, aber die Fenster größer, Tapeten und Vorhänge verschwanden. Alles wurde heller, praktischer und orientierte sich an den Bedürfnissen der Menschen. Durch den Einsatz edler Materialien war das neue Wohnen aber auch sinnlich. Alle diese Aspekte zeigen sich sehr anschaulich in Haus Esters und Haus Lange. Das benachbarte Ensemble gilt als beispielhaft für den modernen Bauhaus-Stil. Mit den ineinander geschobenen Quadern und den charakteristischen Flachdächern können sie zu Recht als Ikonen der Moderne bezeichnet werden.
Wie hat die Geschichte den Aufbau der Häuser beeinflusst?
Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war von maßgeblichen Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen geprägt. Eine ganz neue Wahrnehmung von Hygiene, von Licht und Ordnung entwickelte sich. Architekten der Moderne setzten sich mit all diesen Facetten auseinander – beim sozialen Wohnungsbau, aber auch bei Privataufträgen. Haus Esters und Haus Lange spiegeln diese Überlegungen und Veränderungen deutlich wider. Zum Beispiel haben alle Schlafzimmer, also auch die Schlafzimmer der Kinder, ein eigenes Badezimmer. Darüber hinaus ist Haus Lange dank bodentiefer Fenster, deren große Glasflächen durch die Verwendung von Stahlträgern beim Bau möglich wurden, von Licht durchflutet. Auch die Faszination der Bauhaus-Architekten für Technik findet sich wieder. So passen zum Beispiel problemlos drei Autos in die Garage von Haus Lange – und das zu einem Zeitpunkt, als das Automobil seinen Siegeszug gerade erst begann. Beide Häuser reflektieren die wesentlichen Fortschritte der Zeit. Gleichzeitig ist jedoch auch eine Wertschätzung der handwerklichen Arbeit spürbar. Die gemauerten Fassaden sind eine Hommage an das Handwerk, van der Rohe war nämlich selbst gelernter Maurer.
Welche Bedeutung haben Haus Lange und Haus Esters heute?
Heute, 90 Jahre später, befinden wir uns wieder in einer Zeit der Umbrüche. Es gibt zahlreiche parallele Entwicklungen: Wie damals verändert Technik unseren Alltag signifikant. Aber auch neue Herausforderungen beeinflussen, wie wir den privaten Raum erleben. Arbeitsmärkte forcieren Migrationsbewegungen, sodass es heute eine Rarität geworden ist, sein ganzes Leben in einem einzigen Haus zu verbringen. Haus Esters und Haus Lange bieten durch ihren Pioniercharakter und ihre moderne Prägung den perfekten Ort, um sich mit Fragen zum privaten Raum auseinanderzusetzen – so wie wir es mit der aktuellen Projektausstellung „Anders Wohnen“ tun. Die Museen werden zur Plattform, die einen Dialog zwischen den Disziplinen anspornt, das heißt neue Dialoge zwischen den Künsten und den Besucher*innen, zwischen den Künstler*innen und den Häusern ermöglicht. Das ist die Ausrichtung, die wir auch in Zukunft den Museen angedeihen lassen wollen. Haus Esters und Haus Lange sind Orte der Begegnung, der Zusammenkunft zwischen Besucher*innen, Künstler*innen und anderen Akteur*innen. Um das zu festigen, wird zum Beispiel auch die raumgreifende, nutzbare Installation der amerikanischen Künstlerin Andrea Zittel für „Anders Wohnen“, das Café im Gartenhäuschen, einen festen Platz im Skulpturenpark von Haus Lange und Haus Esters bekommen.
Mehr zur Ausstellung „Anders Wohnen“ erfahren Sie im ersten Teil des Interviews mit Katia Baudin. Hier geht’s zur Story.
Einen Überblick über alle bisher verfügbaren Stories erhalten Sie unter www.interface.com/100stories.