Bauen muss nachhaltiger werden. Doch welche Zukunftsperspektiven und Lösungsansätze gibt es?
Um diese Frage ging es in der Paneldiskussion „Building the future“, zu der Interface am 25. Mai sechs Experten ins Wiener Climate Lab geladen hat.
Hitzesommer, Starkregen, Artensterben: Der Klimawandel mit seinen vielfältigen Auswirkungen auf Natur, Gesellschaft und Wirtschaft stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar. Wir alle stehen in der Verantwortung, den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren. Nicht zuletzt die Baubranche und ihre beteiligten Industrien müssen ihren Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung leisten.
Was hat die Bau- und Gebäudewirtschaft mit dem Klimawandel zu tun?
- 40 % der globalen CO2-Emissionen werden vom Gebäudesektor verursacht.
- 55 % des Abfallaufkommens sind auf Bau- und Abbruchabfälle zurückzuführen
Kreislaufwirtschaft im Bausektor etablieren
Weg vom linearen Wirtschaftssystem, in dem Produkte erzeugt, konsumiert und anschließend weggeworfen werden. Hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, in der die Bedürfnisse der Gesellschaft durch eine effiziente (Wieder-)Verwendung von Ressourcen gedeckt werden. Dieses Prinzip der Kreislaufwirtschaft (engl. Circular Economy) gilt es auch im Bausektor umzusetzen.
Ein Thema, mit dem sich Dietmar Wiegand intensiv auseinandersetzt. Er ist Leiter des Forschungsbereichs Projektentwicklung an der TU Wien und unterrichtet dort angehende Architekt:innen, Bauingenieur:innen und Raumplaner:innen. Gemeinsam mit seinen Studierenden diskutiert er drängende Klimafragen:
- Wie gelingt es, CO2-Emissionen sowie andere klimaschädliche Emissionen innerhalb der nächsten zehn Jahre zu reduzieren?
- Wie sieht die Umsetzung an konkreten Beispielen aus?
Um den CO2-Fußabdruck der Bauchbranche deutlich zu minimieren, sollten dabei folgende Lösungsansätze umgesetzt werden:
- Schließen der Kreisläufe mit möglichst wenig Energieaufwand.
- Nutzungsintensivierung von Ressourcen. Ein Beispiel, dass das Optimierungspotenzial in diesem Bereich verdeutlicht: Klassenzimmer in Schulgebäuden der DACH-Region werden nur zu 10 % ihrer Lebenszeit genutzt – ein ökologisches wie ökonomisches Desaster!
- Erdwärmepumpen einsetzen. Sie sind ein wichtiger Baustein der Dekarbonisierung und gelten derzeit als Top-Lösung für die dezentrale Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
EU-Taxonomie und CSRD machen Nachhaltigkeit messbar
Für Wissenschaft und Forschung stehen der Klimawandel und die daraus abzuleitenden Klimamaßnahmen schon lange auf der Tagesordnung. Doch auch in der Politik hat die Klimathematik seit einigen Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen. Während früher viel auf Freiwilligkeit gesetzt wurde, existieren heute europaweit verbindliche Maßnahmen:
- 2015 einigten sich die Vereinten Nationen auf das Pariser Klimaabkommen. Dessen globales Ziel ist, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, möglichst 1,5 Grad Celsius.
- 2019 ruft Europa den „European Green Deal“ aus, mit dem übergeordneten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden.
- 2021 tritt das Europäische Klimagesetz in Kraft. Es gießt das Ziel der Treibhausgasneutralität 2050 in einen gesetzlichen Rahmen. Bis 2030 sollen mindestens 55 % der Treibhausgase gegenüber 1990 eingespart werden.
Um die ehrgeizigen Klimaziele der EU zu erreichen, ist es einerseits wichtig, Investitionen in nachhaltige Projekte und Aktivitäten zu lenken. Die EU-Taxonomie soll Anlegern dabei helfen, grüne Investments zu erkennen.
Wann ist eine Investition nachhaltig? EU-Taxonomie schafft Klarheit
Die EU-Taxonomie ist ein gemeinsames Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Sie soll Geldströme in nachhaltige Finanzprojekte leiten und ist zentraler Bestandteil des „Sustainable Finance Frameworks“. Dieser trägt dazu bei, Nachhaltigkeitsfaktoren auf verschiedenen Ebenen der Wirtschaft zu verankern.
Neben der EU-Taxonomie gibt es zwei weitere Regularien, die der Unternehmenstransparenz dienen:
- SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) legt die Offenlegungsanforderungen für Unternehmen fest.
- CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) legt fest, welches Unternehmen wie zu reporten hat.
Klimaregularien erfolgreich implementieren – zwei Beispiele aus der Praxis
CBRE GmbH – weltweit größtes Immobiliendienstleistungs- und Investment-Unternehmen auf dem gewerblichen Immobiliensektor
Nadja Pröwer ist Head of Building Consultancy AT & CEE bei der CBRE GmbH. Sie berichtet in der Paneldiskussion, dass CBRE als weltweit agierendes, börsennotiertes Unternehmen schon länger in der Pflicht steht, einen Nachhaltigkeitsbericht abzugeben. Darüber hinaus haben sie sich freiwillig der globalen Climate Pledge Initiative angeschlossen, mit dem Ziel, als Unternehmen bereits 2040 klimaneutral zu werden. Ein wichtiger Schritt in die klimaneutrale Richtung war es unter anderem, weltweit ein ESG-Team (Enviromental Social Governance) gegründet zu haben. Das Unternehmen hat an jedem Standort sichergestellt, dass sich Mitarbeitende in Vollzeit mit ESG-Themen auseinandersetzen.
ÖGNI – Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft
Anna-Vera Deinhammer verstärkt die ÖGNI seit Oktober 2022 im Bereich „Internationale Beziehungen und Kommunen“. Die ÖGNI ist eine NGO und bietet Zertifizierungen für Gebäude und Quartiere an. Ihre Mitglieder reichen von Projektentwicklern über Planende und das Facility Management bis hin zu Rückbauexperten. Wie integriert die ÖGNI die EU-Taxonomie Verordnung in ihre Beratung und in das Zertifikat? Gleich 2020/21 hat sie ihren Auditoren und Consultants das Angebot gemacht, sich zum EU-Taxonomy Advisor in der eigenen Akademie weiterbilden zu lassen – mit dem Ziel, dass diese künftig zusätzlich zum Zertifikat einen „Taxocheck“ für bestehende Gebäude und Projekte anbieten können. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden regelmäßig in das World Green Building Council getragen und unter den EU-Mitgliedsstaaten diskutiert. Zusätzlich wird aktuell ein strategischer und technischer Beirat eingerichtet, der alle Erkenntnisse bündelt und so unter anderem zur Weiterentwicklung der Zertifizierungen und Schulungen beiträgt.
Interface: Mit Transparenz und messbaren Ergebnissen zum Nachhaltigkeitspionier
Lange bevor es überhaupt gesetzliche Regularien zur Klimaneutralität gab, hatte sich Interface bereits dem Nachhaltigkeitsthema verschrieben. Mit einer klar definierten Roadmap ging es für das Unternehmen auf die Mission Zero – mit dem Ziel, bis 2020 als Unternehmen klimaneutral zu sein. Abfall vermeiden, auf erneuerbare Energien umstellen, Kreislaufwirtschaft vorbereiten – all das war und ist Teil unserer Nachhaltigkeitsreise. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsmission Climate Take Back lautet das nächste ehrgeizige Ziel: CO2-negativ bis 2040. Dabei setzen wir auf Transparenz, messbare Ergebnisse und konsequente Umsetzung CO2-reduzierender Maßnahmen. Wie andere Unternehmen in der Baubranche einen ähnlich nachhaltigen Weg einschlagen können? Sustainability Managerin Ruth Prinzmeier empfiehlt: „Firmen sollten sich mit der nachhaltigen Transformation des Unternehmens auseinandersetzen, sich ein Nachhaltigkeitsteam aufbauen und sofort loslegen. Erst Erfahrungen machen, Emissionen messen und dann die Ziele sowie die Strategie festlegen.“
Klimapositive Gebäude: keine Zukunftsmusik, sondern bereits Realität
Unternehmen wie Interface zeigen, dass der Trend mehr und mehr dahin geht, nicht nur einen klimaneutralen, sondern einen klimapositiven Fußabdruck zu hinterlassen. Auf den Gebäudesektor übertragen bedeutet „klimapositiv“ oder auch „CO2-negativ“, dass ein Gebäude mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt, als es selbst ausstößt. Wie das funktionieren kann, stellt Klaus Sperka, Consultant bei Drees & Sommer, anhand eines Best Practice Beispiels vor. Das neue Headquarter „Obere Waldplätze 12“ des Beratungs- und Planungsunternehmens wird allen modernen Anforderungen für Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung gerecht. So wurden beispielsweise Geothermie und Photovoltaik zur Energiegewinnung integriert sowie zur Ressourceneinsparung industriell vorgefertigte, modularisierte Bauteile eingearbeitet (Cradle to Cradle-Prinzip).
Digitalisierung als Treiber für ressourceneffizientes Bauen
Kann die Digitalisierung dazu beitragen, die Baubranche nachhaltig zu revolutionieren? Ja, sie kann, wie man am Beispiel von Concular eindrucksvoll sieht. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als digitale Plattform für zirkuläres Bauen. Sean Nolan, Head of Growth bei Concular, erklärt das Geschäftsmodell: Mit digitalen Materialpässen, umweltschonendem Rückbau und der Vermittlung von geprüften, zirkulären Baustoffen trägt das Unternehmen dazu bei, dass Ressourcen effizient genutzt und die Emissionen der Baubranche gesenkt werden.
In der darauffolgenden Diskussion wurde die Umweltproduktdeklaration (Environmental Product Declaration), kurz EPD, als eines der zukunftsweisenden Tools hervorgehoben. Sie beinhaltet umfassende und valide Daten über die Umweltauswirkung eines Produktes (Emissionen, Ressourceneffizienz und Abfallarten) entlang des Produktlebenszyklus. EPDs vereinfachen damit Gebäudezertifizierungen enorm. Die Daten lassen sich einfach durch Schnittstellen in diverse Softwaretools z.B. für Simulationsmodelle, Ökobilanz und Gebäuderessourcenpass importieren.
Fazit: Es ist Zeit zu handeln
Sechs Experten aus der Baubranche mit sechs verschiedenen Wirkungsbereichen – und doch einer klaren, gemeinsamen Meinung, was die Dringlichkeit zu handeln angeht: Es wird höchste Zeit, dass alle Akteure des Bausektors ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Es gilt, die Bau- zur Kreislaufwirtschaft umzugestalten, in der Abfälle vermieden und Ressourcen effizient (wieder-)verwendet werden. Dazu findet sich in jeder Phase eine Möglichkeit: Von der Planung über den Bau, die Nutzung bis hin zum Rückbau und Recycling. Das Wissen und die Lösungen über die dazu nötigen Technologien, Maßnahmen und auch Regularien liegen vor. Sie müssen nur noch konsequenter als bisher umgesetzt werden.