Das Kollektiv SAVVY Contemporary nimmt mit dem Projekt SPINNING TRIANGLES den Gründungsmoment des Bauhaus auf, aber nicht um ihn zu wiederholen, sondern um ihn zu verdrehen: Beim Durcheinanderwirbeln von vier Orten – Dessau, Kinshasa, Berlin und Hongkong – soll eine Schule für Gestaltung entstehen, die das Zeug hat, die Herausforderungen ihrer Zeit anzugehen und genau deswegen vielleicht zur „Un-Schule“ wird. Mehr zur Basis des Projekts erfahren Sie in Story #050. Dabei werden Ideen nicht nur im geopolitischen Westen, sondern rund um die Welt besprochen und (weiter-)entwickelt, nämlich unter anderem in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo. Vor Ort tauschten sich Projektteilnehmer*innen, unter ihnen Künstler*innen wie Tabita Rezaire, Architekt*innen, Kommunikator*innen und Student*innen, in Workshops und Vorlesungen, aber auch bei Spaziergängen und Choreographien aus. Elsa Westreicher, gemeinsam mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Arlette Louise Ndakoze, Kuratorin des Projekts, berichtet von der ereignisreichen Etappe in Kinshasa.
Was war das Ziel der Projektetappe im Kongo?
Wir hatten kein einzelnes konkretes Ziel vor Augen. Wir haben viel mehr intensiv zugehört und begonnen, durch den Austausch ein Netz aus Gedanken, Erkenntnissen und Erinnerungen zu weben. Wir haben uns dabei vor allem mit Gestaltungspraktiken und kolonialen Machtstrukturen beschäftigt, die sich sogar in der Schöpfung einfacher Alltagsgegenstände widerspiegeln.
Welche Themen wurden in den Workshops und Sessions behandelt?
Es gab insgesamt fünf Workshops. Van Bo Le-Mentzel, der sich intensiv mit Tiny Häusern beschäftigt, wollte in Kinshasa zusätzlich auf urbane Segregationsmechanismen aufmerksam machen. Eliana Otta hat gemeinsam mit Nada Tshibuabua ein Netz um „Hechizos“ gewebt. So werden in Peru einerseits Sprüche bezeichnet, mit denen man Objekten eine spirituelle Bedeutung gibt. Andererseits sind „Hechizos“ aber auch umfunktionierte Objekte, zum Beispiel Regale, die aus alten Kühlschränken gebaut werden. Cheick Diallos Workshop hat wiederum grundsätzliche Aktivitäten des Alltags (wie das Sitzen) als Anlass genommen, die Beziehung zwischen uns und den Gegenständen zu hinterfragen, die wir konzipieren. Lambert Mousseka hat sich mit den Teilnehmer*innen mit Materialien und deren Eigenschaften und Bedeutungen beschäftigt, um aus diesen Beobachtungen zu schöpfen. Der fünfte Workshop mit Jean Paul Sebuhayi hat sich mit strategischem Gestalten befasst und aus konzeptueller und architektonischer Praxisperspektive die Frage nach einem Raum des Lernens gestellt. In drei späteren Treffen haben wir an diese letzte Frage angeknüpft: Wie müsste ein Lernraum für Gestaltung in Kinshasa konzipiert werden, aus welchen Philosophien und Praktiken heraus? Dabei geht es zum großen Teil gar nicht darum, Neues in die Welt zu setzen, sondern Bestehendes zu hinterfragen.
Welche Ergebnisse nehmen Sie mit zurück?
Klar ist, es muss ein Umdenken stattfinden. Es geht um Deutungshoheit und -macht, die niemand gern abgibt. Einzelne konkrete Ergebnisse gibt es zum Beispiel in der Hinsicht, als dass in Kinshasa schon sehr deutlich von den Umrissen einer Gestaltungs-„Schule“ gesprochen wurde. Zahlreiche Überlegungen sind auch in die Schule geflossen, die im Juli und August bei uns, bei SAVVY Contemporary, stattfanden. Diese Erfahrungen werden dann wieder nach Kinshasa getragen, nach Hongkong und wahrscheinlich auch noch an andere Orte, wo sie weitere Formen annehmen.
Was hat Sie am meisten überrascht und gefreut?
Überrascht hat mich das wirklich breit gefächerte Interesse an dem Projekt, das sowohl von vielen tiefgehenden Ideen als auch scharfen und kritischen Fragen begleitet wurde. Außerdem gab es spontane Auftritte und Performances, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Uns haben auch die neuen Verbindungen gefreut, die zwischen Interessierten entstanden sind und natürlich die Arbeiten, die in den Workshops kreiert wurden.
Haben sich neue Verbindungen zum Bauhaus offenbart?
SPINNING TRIANGLES war nicht auf Spurensuche des historischen Bauhaus im Kongo. Es ging uns viel mehr um die Ideenwelt und das gesellschaftliche Verständnis, aus denen unter anderem das Bauhaus entstanden ist. Das ist auch mit Dingen verbunden, über die in Bezug auf das Bauhaus selten gesprochen wird, wie zum Beispiel Johannes Ittens Nähe zum Mazdaznan und den rassistischen Ausprägungen dieser religiösen Lehre. Insofern sehen wir die Verbindungen anders herum, nämlich in den Zusammenhängen zwischen der Realität des Bauhaus und der Realität Kinshasas, in ihrer grundlegenden Verknüpfung für den Entstehungsprozess der „Moderne“.
Mehr Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Einen Überblick über alle bisher verfügbaren Stories erhalten Sie unter www.interface.com/100stories.