Durch Handwerkskunst inspiriert

Selbst wenn Kunsthandwerker sich nach einem Muster richten, ist jeder von Hand gesponnene oder gewebte Stoff ganz einzigartig – die kleinen Abweichungen machen jedes Exemplar zu etwas Besonderem. Das Saori-Weben, das von Misao Jo im Jahr 1968 erfunden wurde, zelebriert diese zufällige Schönheit. Im Gegensatz zu anderen Handwebtechniken gibt es beim Saori überhaupt keine Regeln oder Einschränkungen. Es werden keinerlei Muster befolgt und Abweichungen werden nie als Fehler angesehen.

Um diese Philosophie näher kennenzulernen, begab sich Daniel Blois gemeinsam mit zwei Kollegen von Interface in eine abgelegene grüne Oase in der Nähe des japanischen Osaka. Dort befindet sich das Saorinomori Webstudio, der Geburtsort des Saori. Nach einem intensiven Ganztageskurs, bei dem es um die Prozesse und Techniken des Saori ging, zeigte Daniel Blois sich überrascht: „Im Grunde genommen wurde ich kurz darin unterrichtet, wie man den Webstuhl verwendet. Danach geht man hinüber zu einer großen Wand voller Garn und hat nur zehn Sekunden Zeit, um sich drei Garne auszusuchen und sofort am Webstuhl zu arbeiten zu beginnen.“

In einer Gesellschaft, die so großen Wert auf Perfektion legt, kostet es einiges an Überwindung, absichtlich Faden auszulassen und verschiedene, schlecht zusammenpassende Garne zu einem Stoff zu weben. Der Wunsch nach Perfektion wird allerdings vom japanischen Konzept des Wabi-Sabi ausgeglichen: dem Akzeptieren von Fehlern, Unbeständigkeit und Vergänglichkeit. Beide Prinzipien werden als noble Elemente künstlerischen Bestrebens angesehen. Beim Weben hatte Daniel Bois das folgende Gefühl: „Es ist wie eine kleine Entdeckungsreise, einfach alles hinter mir zu lassen, was ich wusste, und auch die Art, wie ich mich aufgrund meines Hintergrundes als Innenarchitekt einem Design angenähert hatte. Es fiel mir nicht leicht, loszulassen, aber letzten Endes lernte ich, einfach hinzunehmen, was passierte.“

Im Moment erleben wir ein Revival von allem, was nostalgisch ist, egal ob natürlich oder handgemacht – liegt das vielleicht daran, dass unser Unterbewusstsein sich gegen die unerreichbaren Ziele von Einheitlichkeit und Perfektion auflehnt? Einer der vier Grundpfeiler des Saori lautet: „Berücksichtige die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine.“ Maschinengefertigtes steht dabei für das Streben nach Perfektion.

Für Daniel Bois ist dies eine Herausforderung in Sachen kreativer Freiheit: „Die Ungenauigkeit handgewebter Teppiche wissen wir oft zu schätzen. In vielen Fällen wird der Teppich durch die kleinen Fehler noch wertvoller, weil sie den Stoff einzigartig und anders machen. Wenn man beginnt, Dinge mithilfe von Maschinen herzustellen, muss man aber dazu in der Lage sein, diese nachzubilden, und es kann nicht alles rein zufällig sein, weil das Produkt sonst nicht zu verwenden oder zu verkaufen wäre. Dies führt unter Umständen zu Prozessausschuss, weil als nicht perfekt erachtete Produkte ausgesondert werden. Für uns war das immer ein Dilemma, weil wir uns dazu verpflichtet fühlen, nachhaltig zu arbeiten.“

Die Kunst des Saori aus erster Hand erfahren zu dürfen, hat Daniel Blois die Augen geöffnet. Er möchte jetzt Maschinen bauen, die dazu programmiert werden können, zufällig zu weben, um Freiheit und Entropie in den mechanischen Prozess zu integrieren. Das ist zwar noch nicht möglich, aber die Kollektion World Woven von Interface orientiert sich an diesen Varianten, um modularen Teppichböden einige der Vorzüge handgemachter Produkte zu verleihen.

Während seines Besuchs hatte Daniel Blois das Privileg, sich mit Kenzo Jo, dem Sohn von Misao, zusammenzusetzen, der den Saori-Webstuhl entworfen hat. Er sprach mit ihm über die Verbindung zur Natur, die dieser auf Zufall ausgerichteten Kunstform eigen ist. Herr Jo erklärte: „Die japanischen Konventionen stehen immer im Zusammenhang mit der Natur, Klängen, dem Mond und dem Wind. Um uns selbst verwirklichen zu können, werden wir deshalb eins mit der Natur; das liegt uns Japanern im Blut.“

Das erinnert an die durch Biophilic Design inspirierte Produkte von Interface. Daniel Blois meint dazu: „Nicht jeder möchte in seinem Büro Blätter, Blumen und Baumstämme haben, aber es gibt verschiedene Abstufungen von Biophilic Design; das kann die Darstellung eines Dschungels sein oder auch die subtile Verkörperung seines Wesens wie in der Kollektion World Woven. Ich finde, die japanische Kultur war immer schon sehr gut in diesen Dingen. Wenn man sich ansieht, wie sie die Natur wahrnimmt und darstellt, sowohl wörtlich als auch symbolisch – manchmal kann ein einzelnes Büschel von etwas einen Wald verkörpern. Das ist so elegant in seiner Einfachheit. Genau wie beim Haiku, in dem es keine überzähligen Wörter oder Verse gibt, kann uns das auch im Design gelingen.“

Der sich selbst immer wieder neu erfindende Geist des Saori könnte laut Daniel Blois von Interface und seinen Designkunden in das Potential übersetzt werden, Bodendesigns ohne jegliche Einschränkungen zu weben. Die Möglichkeit, unendliche Kompositionen zu schaffen, ist eine wichtige Eigenschaft der Kollektion World Woven. „Die Grundkomponente jedes Produktes von Interface ist die Modularität. Beim Saori ist es hingegen das Garn oder der Faden. Dies ist vielleicht eine weitere Gelegenheit, unsere Produkte aus einem anderen konzeptuellen Blickwinkel zu sehen. Indem wir mithilfe von Strukturen und Farben auf dem Boden Kombinationen „weben“, haben wir mehr Freiheit, etwas wirklich Einzigartiges und Zufälliges zu schaffen, das dem Geist des Saori entspricht.“

Diesen Grad an Selbstverwirklichung und Selbsterkenntnis möchte Daniel Blois auch dem Team von Interface vermitteln: „Man sagt, dass man beim Saori nicht nur ein Stück Stoff webt. Man webt sein wahres Ich. Für die ersten 30 Zentimeter des Schals, den ich weben wollte, brauchte ich über zwei Stunden, und am Anfang war es sogar ein bisschen stressig, aber sobald ich lernte, den Prozess zu respektieren – und zwar, dass Fehler kein Bestandteil des Vokabulars sind, sondern einen Teil der Schönheit ausmachen – ging mir alles ganz flüssig von der Hand und ich merkte kaum, wie der Tag verging. Ich war noch nie besonders spirituell, aber wenn ich einmal etwas erlebt habe, das innerer Erleuchtung nahe kommt, dann war es dieses Erlebnis.“

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