Die Fotografie am Bauhaus

Zehn Jahre nach der Gründung des Bauhauses wurde die Fotografie 1929 offizielles Fach an der Hochschule für Gestaltung. Dies lag vor allem an der Verbreitung der ersten benutzerfreundlichen Kamera, der Leica, die seit 1925 erhältlich war. Bis dato hatte die Fotografie keine besondere Rolle am Bauhaus gespielt – sie diente lediglich zur Dokumentation und Verbreitung der entwickelten Objekte und Architektur. Dafür zuständig war Lucia Moholy, die trotz aller Sachlichkeit ihren eigenen Stil entwickelte. Die Leica eröffnete ab Mitte der 1920er-Jahre sowohl Fotografen als auch Privatleuten neue Möglichkeiten der Fotografie im Freien und ließ auch die Bauhaus-Schüler nicht unberührt. Auch die jüngeren Lehrkräfte, wie László Moholy-Nagy, Herbert Beyer und Josef Albers, und sogar der eher konservative Lyonel Feininger wurden vom Fotografie-Fieber angesteckt.

Generell lässt sich die Fotografie am Bauhaus in zwei Epochen teilen: Unter Walter Gropius und dem Lehrenden László Moholy-Nagy stand sie noch im Zeichen individuellen Experimentierens, unter Hannes Meyer und dem lehrenden Berufsfotografen Walter Peterhans wurde die Technik Mittel zum Zweck für Werbung und Presse. Es vollzog sich ein Wandel vom „Neuen Sehen“ zur angewandten Sachfotografie.

„Neues Sehen“ und „straight photography“

Der Künstler László Moholy-Nagy brachte das „Neue Sehen“ ins Dessauer Bauhaus ein. Das Neue Sehen entwickelte sich als Stilrichtung der Fotografie in den 1920ern: festgefahrene Regeln bezüglich Komposition und Beleuchtung wurden durch eine dynamische Ausrichtung ersetzt, die den gesellschaftlichen Fortschritt in den Mittelpunkt stellten und dokumentieren konnten. Das Neue Sehen kann als Gegenbewegung zur „Direkten Fotografie“ (straight photography) begriffen werden, die vor dem Ersten Weltkrieg Objektivität im Fokus hatte. Das Neue Sehen wollte dem einen optimistischen Ansatz entgegenstellen und postulierte die exakte Ausleuchtung der zeitgenössischen Fotografien als langweilige Darstellung der Realität. Hier setzten auch Moholy-Nagy und mit ihm eine wachsende Zahl an Fotografen am Bauhaus an. Ungewöhnliche Perspektiven, Experimente mit Licht und Schatten keine kompositorischen Regeln, dafür die Anwendung kreativer Impulse – eine sehr experimentelle Herangehensweise, weg vom reproduzierenden hin zum produzierenden Medium. All dies spiegelt sich in Moholy-Nagys Fotografien des Bauhauses wider, die Mensch und Architektur in ein neues Verhältnis zueinander setzen. Moholy-Nagy war Leiter der Metallwerkstatt und ein leidenschaftlicher Verfechter der Idee, die Fotografie in die Lehre einzubringen und damit eine moderne Bildsprache zu entwickeln. Als Fotografie-Laie ermöglichte er es seinen Studenten, ihre Experimentierlust mit der Leica in der offiziellen Ausbildung auszuleben.

Der Wandel zur neuen Sachlichkeit

Doch erst als Gropius, Moholy-Nagy und Herbert Bayer das Bauhaus verlassen hatten und Hannes Meyer das Ruder übernommen hatte, wurde 1929 die erste offizielle Fotografieklasse am Bauhaus installiert – als Teil der Werkstatt für Typografie und Reklame. Unter der Leitung des 32-jährigen Fotografen Walter Peterhans lernten die Studierenden neben Theorie und Praxis auch akkurates Sehen und minutiöse Ausleuchtung. Die Ausbildung stand ab sofort unter den Maßgaben technischer Perfektion und der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit, die sich ganz der Welt des Sichtbaren und ihrer objektiven Widergabe widmete. Ein krasser Bruch mit dem experimentellen, kreativen Ansatz Moholy-Nagys. Peterhans machte aus der Fotografie ein intellektuelles Anliegen: Er trat dafür ein, präzise zu beobachten, bevor der Kameraeinsatz akribisch geplant wurde. Außerdem hielt er seine Studenten dazu an, eine möglichst breite Palette an Grautönen zu nutzen statt der extremen Schwarz-Weiß-Kontraste. Es wurde mit verschiedenen Strukturen und Filtern hantiert, und auch die Präsentation der Ergebnisse hatte ihren festen Platz. Diese Fertigkeiten sollten die Schüler auf das praktische Berufsleben des Fotografen vorbereiten. Nach der Schließung des Bauhauses 1933 lehrte Walter Peterhans an unterschiedlichen deutschen Instituten, bevor er 1938in die USA emigrierte, wo er am Illinois Institute of Technology in Chicago unterrichtete.

Heute besitzt das Bauhaus-Archiv eine einzigartige Fotosammlung mit 6.000 Abzügen von 117 Fotokünstlern sowie etwa 60.000 Fotos zur Geschichte des Bauhauses.

Walter Peterhans vor 1936 auf einer Fotografie von Genja Jonas

Im Jahr 1929 wurde die Fotografie offizielles Fach an der Hochschule für Gestaltung. © Rudy and Peter Skitterians/Pixabay

László Moholy-Nagy, 1938

 

Einen Überblick über alle bisher verfügbaren Stories erhalten Sie unter www.interface.com/100stories.

 

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on LinkedInEmail this to someone

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Ähnliche Artikel

Bauhaus-ABC

Januar 25, 2019

In unserem Bauhaus-ABC finden Sie interessante Fakten und Wissenswertes rund um das Bauhaus. Angefangen bei A wie Josef Albers über O wie Ornament, W wie Weberei bis hin zu Z wie Bauhaus-Zeitschrift. A wie Josef ALBERS Deutscher Maler, Kunsttheoretiker und -pädagoge, Bauhaus-Lehrer. Ihm ist das „Josef Albers Museum Quadrat Bottrop“ gewidmet. „Kunst ist zuerst Vision,…

Farbenlehre am Bauhaus

Januar 18, 2019

Die Farben- und Formenlehre am Bauhaus ist ab 1922 eine der weitreichendsten Ausbildungsbausteine gewesen. Die Übungen, Praxisaufgaben, theoretischen Ausführungen und Studien flossen in fast alle Unterrichtsfächer ein, die am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin angeboten wurden – Malerei, Weberei, Bühnenbau, Architektur – und stellen auch in der heutigen Architektur- und Gestaltungslehre noch immer eine…